Ein Beitrag von Moritz Pohlmeier und Maximian Heilig.
Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Urteil vom 06.11.2018 (C-684/16) die jahrzehntelang gelebten Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes für in Teilen mit europäischem Recht unvereinbar erklärt hat, hat sich die Rechtsprechung seitdem mit einigen Folgefragen beschäftigen müssen. Zwei wesentliche verjährungsrechtliche Fragen sind jetzt durch das BAG geklärt worden.
1. Rückblick: Alte Rechtslage und das Urteil des EuGH
Bis zu dem vorgenannten EuGH-Urteil gestaltete sich die Rechtslage so, dass nach der Regelung in§ 7 Abs. 3 S. 2 des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) ein Urlaubsanspruch für das laufende Kalenderjahr verfällt, wenn dieser nicht bis zum Ende des jeweiligen Kalenderjahres oder (ausnahmsweise) bis zum 31. März des Folgejahres gewährt und genommen wurde. Diese Regelung galt auch für Urlaub, der aufgrund von Arbeitsunfähigkeit (Krankheit) nicht im Jahr seines Entstehens oder während des Übertragungszeitraums genommen werden konnte.
Der EuGH entschied in der anfangs genannten Entscheidung, dass ein Verfall abweichend von der Regelung im BUrlG nur dann in Betracht komme, wenn der Arbeitgebende seiner sog. Mitwirkungspflicht nachgekommen sei. Der Arbeitgebende müsse den Arbeitnehmenden dazu auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub bei fehlender Beantragung zum Ende des Kalenderjahres bzw. Übertragungszeitraums verfalle. Komme der Arbeitgebende dieser Mitwirkungsobliegenheit nicht nach, so trete der aus einem vorigen Kalenderjahr nicht verfallene Urlaub zu dem für das Folgejahr entstehenden Urlaubsanspruch hinzu.
Im Ergebnis ist es nach der Entscheidung des EuGHs daher möglich, Urlaubsansprüche zu kumulieren, wenn der Arbeitgebende seine Mitwirkungspflicht nicht erfüllt hat.
2. Verjährungsrechtliche Folgeprobleme
Die mögliche Kumulation von Urlaubsansprüchen hat dazu geführt, dass Urlaubsansprüche in Auseinandersetzungen zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden erheblich an Bedeutung gewonnen haben. In diesem Zusammenhang stellte sich insbesondere die Frage, ob verjährungsrechtliche Einwände einem etwaigen Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmenden entgegengehalten werden können.
Dabei muss zunächst zwischen den Urlaubsansprüchen selbst und der Urlaubsabgeltung unterscheiden werden. Der Urlaubsanspruch selbst richtet sich auf den tatsächlichen Urlaub – also der bezahlten Freizeit, die Arbeitgebende ihren Arbeitnehmenden jedes Jahr gewähren. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann der Urlaub nicht mehr gewährt werden. Bei noch bestehendem Resturlaub haben Arbeitnehmende dann einen Anspruch auf eine Geldzahlung – die sogenannte Urlaubsabgeltung.
a. Verjährung von Urlaubsansprüchen
In dem mit Spannung erwarteten Urteil vom 20. Dezember 2022 (9 AZR 266/20) entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG), dass der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmenden nicht der Verjährung unterliege, wenn der Arbeitgebende seinen Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten nicht nachkommen sei. Nach Vorlage durch das BAG entschied zunächst der EuGH (im sog. Vorabentscheidungsverfahren) mit Urteil vom 22. September 2022 (Az. C-120/21), dass Urlaubsansprüche über den üblichen Zeitraum hinaus bestehen blieben, sofern der Arbeitnehmende nicht die Möglichkeit gehabt habe, seinen Urlaubsanspruch rechtzeitig auszuüben. Die Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 194 BGB) gelte demnach nicht, wenn der Arbeitgebende den Arbeitnehmenden nicht in die Lage versetzt worden sei, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich auszuüben.
Das BAG folgte dieser Entscheidung des EuGH durch Urteil vom 20. Dezember 2022 (Az. 9 AZR 266/20). Es stellte fest, dass die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB erst mit dem Schluss des Jahres beginne, in dem der Arbeitgebende den Arbeitnehmenden über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmende den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen habe.
Arbeitgebende werden sich einem Streit über etwaige Urlaubsansprüche daher nicht darauf zurückziehen können, dass der Anspruch verjährt ist, wenn sie ihrer Mitwirkungsverpflichtung nicht nachgekommen sind. Unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils ist hierbei grundsätzlich fraglich, ob für die Verjährung bei Urlaubsansprüchen überhaupt ein Anwendungsfall verbleibt, denn nach der Rechtsprechung des EuGH dürfte der Urlaubsanspruch bei Erfüllung der Mitwirkungsverpflichtungen durch den Arbeitgebenden regelmäßig nach den Regelungen des BUrlG verfallen. Es wird sich zeigen, ob sich die Rechtsprechung in Zukunft auch zu dieser Frage positionieren wird.
b. Verjährung von Urlaubsabgeltungsansprüchen
In seinem Urteil vom 31.01.2023 (9 AZR 456/20) klärte das BAG ebenfalls, wann der auf Geld gerichtete Urlaubsabgeltungsanspruch verjährt. Hier entschied das BAG, dass die Verjährungsfrist bezogen auf die Urlaubsabgeltung in der Regel mit dem Ende des Jahres beginne, in dem der Arbeitnehmende aus dem Betrieb ausgeschieden sei.
Der Arbeitgebende kann also spätestens vier Jahre nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmenden aus dem Unternehmen unter Verweis auf die Verjährung die Zahlung verweigern.
5. Was für Arbeitgebende jetzt wichtig ist
Beide Entscheidungen führen dazu, dass Verfahren über Urlaubsabgeltung forensisch besonders aufwendig werden können. Bei langandauernden Arbeitsverhältnissen müssen unter Umständen viele Jahre oder gar Jahrzehnte an Urlaubstagen rekonstruiert werden. So können sich auch auf sehr hohe Geldbeträge gerichtete Urlaubsabgeltungsansprüche ergeben. Je nach Beschäftigungsdauer und arbeitsvertraglichen Vereinbarungen, spricht man unter Umständen über erhebliche Summen, denen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinen Gegenwert mehr gegenübersteht.
Arbeitgebende sind zukünftig deshalb gut beraten, ihre Arbeitnehmende unter Anfertigung entsprechender Nachweise jährlich dazu aufzufordern, den Erholungsurlaub auch tatsächlich zu nehmen. Hierbei sollte darauf hingewiesen werden, dass nicht genommener Urlaub verfällt. Genommener Urlaub sollte zudem besonders gut und nachhaltig dokumentiert werden, um sich bei einem Prozess über Urlaubsabgeltung auch viele Jahre später noch verteidigen zu können. Wirtschaftlich lohnt sich diese Prävention in jedem Fall.
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