Image

KWM Blog

„Den will ich hier nicht sehen“ – Zur arbeitsrechtlichen Freistellung in Corona-Zeiten

27. November 2020

Nach wie vor verunsichert die Corona-Krise die Wirtschaft. Auf der Hand liegen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise: Viele Patienten sind – gerade angesichts der zuletzt wieder enorm gestiegenen Infektionszahlen – nach wie vor zurückhaltend im Hinblick auf die Terminvereinbarung in Zahnarztpraxen, was zu Umsatzeinbußen führt. Unklarheiten bestehen aber nicht nur bei der künftigen Einnahmensituation, sondern vielfach auch praxisintern. Auffällig gehäuft haben sich in den vergangenen Monaten Anfragen zum Thema Freistellung: Wann darf, wann muss ein Arbeitgeber seine Arbeitnehmer in Corona-Zeiten freistellen? Ein Überblick:

1. Grundprinzipien der Freistellung

Ein wesentlicher Eckpfeiler des Arbeitsrechts besteht in dem Prinzip „Ohne Arbeit kein Geld“. Der Lohnanspruch eines Arbeitnehmers ist hiernach jedenfalls im Ansatz davon abhängig, ob er für sein Geld auch gearbeitet hat. Aus diesem Grund hat der Arbeitnehmer aber auch seinerseits ein berechtigtes Interesse daran, dass ihm Arbeit zugewiesen wird. Es gibt deshalb nicht nur eine arbeitsvertragliche Pflicht zur Arbeitsleistung, sondern kehrseitig auch ein Recht auf Arbeit. Dieser Beschäftigungsanspruch bringt es mit sich, dass ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer nicht willkürlich nach Hause schicken kann. Eine solche Freistellung von der Arbeitsleistung ist vorbehaltlich besonderer Absprachen im Arbeitsvertrag nur in Ausnahmesituationen zulässig, weil ansonsten das Recht des Arbeitnehmers auf Arbeit beschnitten würde.

Die Beantwortung der Frage, ob eine Freistellung im Einzelfall arbeitsrechtlich vertretbar ist oder nicht, gibt überdies nicht Aufschluss darüber, ob für die Dauer der Freistellung auch das Gehalt zu zahlen ist. Wenn es weder eine gesetzliche noch eine vertragliche Grundlage für die Anordnung einer unbezahlten Freistellung durch den Arbeitgeber gibt, kommt allenfalls eine bezahlte Freistellung in Betracht. Da Befugnisse zur Anordnung einer unbezahlten Freistellung rar gesät sind, erfolgen Freistellungen in den allermeisten Fällen unter Fortzahlung der Vergütung. Hierbei handelt es sich um eine Durchbrechung des Prinzips „Ohne Arbeit kein Geld“, die dadurch zu rechtfertigen ist, dass der Arbeitgeber selbst sich durch die Freistellung der arbeitnehmerseitig angebotenen Arbeitskraft beraubt. Technisch ist insoweit vom Annahmeverzug des Arbeitgebers die Rede.

2. Rechtslage in der Corona-Pandemie

An diesen allgemeinen Maßstäben sind auch die Entscheidungen über die Freistellung von Mitarbeiterin in der Corona-Pandemie zu treffen.

Eine wichtige Erkenntnis an dieser Stelle ist, dass eine unbezahlte Freistellung in nahezu allen Fällen ausscheiden wird. Die Frage, ob ein Praxisinhaber einen Arbeitnehmer freistellen kann oder nicht, geht nicht akzessorisch damit einher, ob er dem Mitarbeiter das Gehalt weiterzahlen muss oder nicht. Auch bei berechtigten Freistellungen kann der Arbeitnehmer regelmäßig die Zahlung des auf den Freistellungszeitraum entfallenden Gehalts von seinem Arbeitgeber verlangen. Die Unterscheidung, ob eine Freistellung rechtmäßig oder rechtswidrig erfolgt, ist aber dennoch von Bedeutung: Bei einer unberechtigten Freistellung können nämlich über die Vergütungspflicht hinaus weitere Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers entstehen. Außerdem kann die unberechtigte Freistellung einen fristlosen Kündigungsgrund für den Arbeitnehmer und damit das Risiko eines schnellen Arbeitnehmerverlusts für den Arbeitgeber begründen.

Unter welchen Voraussetzungen aber darf der Arbeitgeber seinen Mitarbeiter nun freistellen?

In dieser Hinsicht gibt es leider keine pauschalen Maßstäbe. Vielmehr muss der Arbeitgeber abwägen, ob im konkreten Einzelfall ausnahmsweise besondere schutzwürdige Interessen vorliegen, die den Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers überwiegen. Ein Umstand, der die Freistellung einzelner Mitarbeiter in Corona-Zeiten rechtfertigen kann, ist die Pflicht des Praxisinhabers, für den Schutz der weiteren in seiner Praxis beschäftigten Mitarbeiter zu sorgen. Diese können von ihm verlangen, die nötigen Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um sie vor einer Gefährdung ihrer Gesundheit zu bewahren. Wenn ein Kollege eine mutmaßliche Gefahrenquelle darstellt, kann das unter Umständen auch so weit gehen, dass ein Arbeitgeber einen diesen Angestellten aus Rücksicht auf seine anderen Mitarbeiter freistellen muss.

Ob diese Entscheidung getroffen werden muss, hängt hierbei von den Details des Einzelfalls ab: Allein die Tatsache, dass ein symptomloser Arbeitnehmer am Wochenende einen Bekannten in einem Corona-Risikogebiet besucht hat, wird die Freistellung kaum rechtfertigen. Das gilt besonders angesichts der Tatsache, dass selbst die Karte der innerdeutschen Risikogebiete sich mittlerweile tiefrot färbt. Anders kann die Lage sein, wenn ein Arbeitnehmer das Wochenende mit einem nachweislich mit dem Corona-Virus infizierten Bekannten verbracht hat und bei der Arbeit über typische Symptome Husten und Geschmacksverlust klagt. Die Freistellungsentscheidung des Praxisinhabers sollte in jedem Fall auf einer sorgfältigen Abwägung der widerstreitenden Interessen beruhen.

27. November. 2020 // Björn Papendorf, LL.M. //
Kategorien: Arbeitsrecht, Corona, Covid-19, Freistellung

KWM Autor

KWM LAW Björn Papendorf, LL.M.
Autor: Björn Papendorf, LL.M.
Partner
Fachanwalt für Medizinrecht
Master of Laws (Medizinrecht)
Zeige alle Beiträge von Björn Papendorf

Teilen mit:

ÄHNLICHE BEITRÄGE:

  • KWM LAW Blog 2

    Blog

    Ist die Bezeichnung einer Arztpraxis mit lediglich zwei Ärzten als „Zentrum für ästhetische und plastische Chirurgie“ irreführend?

    Mit dieser Frage hatte sich das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main (Urteil vom 11.5.2023, Az. 6 U 4/23) zu beschäftigen.

    Mehr
  • KWM LAW Blog 2

    Blog

    ... und täglich grüßt das (dokumentierende) Murmeltier...

    So könnte ein aktuelles Urteil des SG München vom 04.05.2023 überschrieben sein.


    Mehr
  • KWM LAW Aktuelles

    Blog

    Neues „FOCUS-Gesundheit“-Urteil wirft Rechtsfragen auf

    Das Ende für die Ärzte-Siegel?

    Mehr
  • CTA

    Blog

    Streit um investorengetragene MVZ - weitere Entwicklungen

    Seit Monaten wird um den Umgang mit investorengeführten MVZ (i-MVZ) gestritten. Die Gesundheitsministerkonferenz hat am 27.03.2023 zu diesem Thema…

    Mehr
  • KWM LAW Blog 2

    Blog

    Veröffentlichung: Ambulante spezialfachärztliche Versorgung - Grundlagen, Umsetzung, praktische Hilfen

    Prof. Dr. Jenschke ist Mitautor eines aktuellen Buches zur ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung; erschienen im Kohlhammer Verlag 2023.…

    Mehr
  • KWM LAW Blog 2

    Blog

    Veröffentlichung: Urteilsbesprechung (ambulante spezialfachärztliche Versorgung)

    Unser KWM-Kollege Prof. Dr. Jenschke hat in der Zeitschrift Medizinrecht 2023, S. 72 bis 79, ein aktuelles Urteil des LSG München zur Frage der…

    Mehr
  • CTA

    Blog

    Wissenswertes zur elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

    Was es bei der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu beachten gilt.

    Mehr
  • CTA

    Blog

    Formmängel bei Kündigung vermeiden

    Warum die Schriftform bei Kündigungen beachtet werden sollte.

    Mehr
  • CTA

    Blog

    Schiedsgerichtsklauseln – Was ist das und was steckt eigentlich dahinter?

    Zu den Fragen, die sich um Schiedsgerichtsklauseln stellen.

    Mehr
  • KWM LAW Blog 2

    Blog

    Veröffentlichung: Wirtschaftlichkeitsprüfung in der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung nach § 116b SGB V

    Unsere KWM-Kollegen Prof. Dr. Jenschke und L. Ziegler sind Autoren einer Studie des Bundesverbandes ASV in Zusammenarbeit mit der bbw Hochschule…

    Mehr
  • KWM LAW Blog 6

    Blog

    Zur Verjährung von Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen

    Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 06.11.2018, durch die der Verfall von Urlaubsansprüchen stark eingeschränkt wurde, zieht weitere…

    Mehr
  • KWM LAW Blog 2

    Blog

    Veröffentlichung: Haftung und Ambulantes Operieren

    "Im Blickpunkt: Ambulantes Operieren" ist der Titel der neuesten Ausgabe (2023, Band 90/1) der Zeitschrift "chirurgische Praxis…

    Mehr

Was können wir für Sie tun?

Kontaktieren Sie uns