Ein Beitrag von Dr. Justin Doppmeier und Jan Beutler.
Mit dem Beginn des Jahres 2023 hat die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung Einzug in die Arbeitswelt gehalten und löst nunmehr die alte Bescheinigung in Papierform ab. Wird mit der elektronischen Bescheinigung ein weiterer Schritt in Richtung Digitalisierung gegangen, gilt es zugleich für Sie als Arbeitgeberin oder Arbeitgeber einige Neuerungen zu beachten, die sich unmittelbar auf den Arbeitsablauf in ihrer Praxis auswirken werden. Der folgende Fragenkatalog soll Ihnen einen Überblick über die wichtigsten Änderungen und Auswirkungen verschaffen.
1. Wie erfolgt die Einreichung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung?
Anders als bisher wird die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht mehr vom Arbeitnehmer direkt an den Arbeitgeber übermittelt, sondern der Arzt versendet die Daten an die jeweilige Krankenkasse, die diese dann einstellt. Es liegt nunmehr am Arbeitgeber selbst, die Bescheinigung elektronisch abzurufen. Doch es gilt zu beachten: Ein Abruf ist nur nach vorheriger Krankmeldung durch den Arbeitnehmer gestattet, ein pauschaler Abruf ist hingegen nicht erlaubt.
Grundsätzlich sollten die Bescheinigungen ab dem ersten Tag nach der Krankmeldung durch den Arbeitgeber abrufbar sein, ebenso sollten auch Folgebescheinigungen unmittelbar abgerufen werden können.
2. Wo kann die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abgerufen werden?
Zum Abruf der elektronischen AU kann der Arbeitgeber auf mehrere Optionen zurückgreifen. Primär steht das Lohnabrechnungssystem zur Verfügung, sofern die Daten der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausreichend geschützt sind, da es sich bei diesen um personenbezogene Daten gem. Art. 9 Abs. 1 Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) handelt. Sollte das jeweilige Lohnabrechnungssystem eine Online-Abrufung der Bescheinigung noch nicht ermöglichen, kann diese auch mittels eines zertifizierten Zeiterfassungssystems sowie durch eine zertifizierte Ausfüllhilfe erfolgen. Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit, einen Dritten mit dem Abruf der Daten zu beauftragen, typischerweise einen Payrollprovider.
3. Welche Daten werden benötigt, um die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abzurufen?
Der Arbeitgeber muss folgende Daten übermitteln, um auf die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zugreifen zu können:
- Name, Geburtsdatum und Versichertennummer des Arbeitnehmers sowie
Betriebsnummer des Beschäftigungsbetriebs
Sollte die Versichertennummer des Arbeitnehmers unbekannt sein, ist diese bei der Datenstelle der Rentenversicherung abzufragen. Sollte dies ebenfalls nicht möglich sein, sind anstelle der Versichertennummer zusätzlich der Geburtsname und -ort des Arbeitnehmers anzugeben.
4. Inwieweit müssen Arbeitsverträge durch die Neuregelungen angepasst werden?
Bei bestehenden Arbeitsverträgen sollten die Anweisungen zum Verhalten im Krankheitsfall mit Blick auf die digitale Krankmeldung angepasst werden, zumal hierdurch im gleichen Zug die Arbeitnehmer über die Änderungen informiert werden.
In neuen Verträgen sollten die Regelungen zur Einreichung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung geändert und nunmehr die unmittelbare elektronische Übersendung der Bescheinigung eingefügt werden.
In beiden Fällen ist darauf zu achten, dass der Arbeitnehmer weiterhin verpflichtet ist, die Arbeitsunfähigkeit unverzüglich mitzuteilen und im Falle einer länger als drei Kalendertage andauernden Krankheit eine ärztliche Bescheinigung einzuholen. Weiterhin besteht für den Arbeitgeber die Möglichkeit, auch schon früher eine ärztliche Bescheinigung zu verlangen.
Außerdem ist zu beachten, dass arbeitsvertragliche Regelungen, welche auch nach dem 31.12.2022 eine Vorlage der Bescheinigung in Papierform vorsehen, unwirksam sind. § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG)s ist einseitig zwingendes Recht.
5. Was geschieht, wenn der Abruf der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung scheitert?
In Fällen, in denen der Abruf der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht gelingt, obwohl der Arbeitnehmer seinerseits alle Vorgaben erfüllt hat, geht der fehlgeschlagene Abruf zulasten des Arbeitgebers. Eine Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform sieht das Gesetz nicht vor.
6. Welche Informationen finden sich auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung?
- Name des Beschäftigten,
- Beginn und Ende der Arbeitsunfähigkeit,
- Datum der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit,
- Kennzeichnung als Erst- oder Folgemeldung und
Angabe, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Arbeitsunfähigkeit auf einem Arbeitsunfall oder sonstigen Unfall oder auf den Folgen eines Arbeitsunfalls oder sonstigen Unfalls beruht.
7. Welche Formen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sind elektronisch abrufbar?
- Arbeitsunfähigkeit vom Vertragsarzt oder Zahnarzt nach § 109 I SGB IV,
- Arbeitsunfähigkeit bei Arbeitsunfällen nach § 109 III b SGB IV und
stationären Aufenthalt im Krankenhaus nach § 109 III a SGB IV.
Hingegen nicht abrufbar sind folgende Bescheinigungen über/von:
- Privatärzten,
- Erkrankungen und Ärzten im Ausland,
- Rehabilitationsleistungen,
- privat krankenversicherte Arbeitnehmer,
- Beschäftigungsverbote,
- Erkrankungen der Kinder und
stufenweise Wiedereingliederung.
8. Was gilt für privatversicherte Arbeitnehmer?
Arbeitnehmer, welche bei einer privaten Krankenkasse versichert sind, werden bislang von den Regelungen über die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgenommen und müssen die Bescheinigung weiterhin in Papierform vorlegen. Der Arbeitgeber ist somit gezwungen, zwischen gesetzlich und privat versicherten Arbeitnehmern bei der Einreichung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu differenzieren.
9. Wie lange darf der Arbeitgeber die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung speichern?
Gemäß § 26 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) dürfen auch die elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen gespeichert werden, wobei noch nicht festgelegt ist, für welchen Zeitraum. Angesichts der Tatsache, dass für den Fall einer krankheitsbedingten Kündigung nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die letzten drei Jahre berücksichtigt werden müssen, dürfen die Bescheinigungen zumindest für diesen Zeitraum gespeichert werden.
10. Was ist bei Minijobbern zu beachten?
Auch bei Minijobbern gilt von nun an die Pflicht zur elektronischen Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Vor dem Hintergrund, dass bislang die Krankenkasse der Minjobber häufig noch nicht bei den Arbeitgebern hinterlegt ist, gilt es diese Information nun von den bereits beschäftigten Minijobbern abzufragen, um im Krankheitsfalle die elektronische Bescheinigung abrufen zu können. Bei neu einzustellenden Minijobbern sollte diese Information direkt abgefragt werden.
Eine wichtige Ausnahme gilt für Minijobber in Privathaushalten, welche weiterhin verpflichtet sind, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform vorzulegen.
11. Welche arbeitsrechtlichen Auswirkungen ergeben sich aus den Neuerungen?
Legt ein Arbeitnehmer die ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit nicht vor, obwohl er hierzu nach den gesetzlichen Regeln verpflichtet ist, ist der Arbeitgeber gemäß § 7 EFZG berechtigt, die Fortzahlung des Arbeitsentgelts zu verweigern. Der Gesetzgeber hat es bei der Neuerung zur elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung jedoch unterlassen, den Anwendungsbereich des Leistungsverweigerungsrechts des Arbeitgebers auf die Neuregelung auszuweiten. Da dies jedoch nicht im Sinne des Gesetzgebers liegen kann, dürften die Regelungen des § 7 EFZG entsprechende Anwendung finden.
Bezüglich der vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Rechtsprechung zur krankheitsbedingten Kündigung sind keine Änderungen anzunehmen. Es ist jedoch nun von gesteigerter Bedeutung für den Arbeitgeber, die elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zum Beweiszwecke für eine mögliche Kündigung zu sichern.
12. Wie ist zu verfahren, wenn Zweifel an der Richtigkeit der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bestehen?
Sollten Zweifel über die Korrektheit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bestehen, kann diese trotz Einführung der elektronischen Bescheinigung weiterhin beim Medizinischen Dienst überprüft werden. Da sich für den Arbeitgeber der behandelnde Arzt jedoch nicht der Bescheinigung entnehmen lässt, obliegt es nunmehr den Krankenkassen bei Verdachtsfällen einzuschreiten.
Bei einer Bestätigung des Verdachtsfalls können weiterhin die bekannten Maßnahmen getroffen werden: Abmahnung, Einstellung der Entgeltfortzahlung bis hin zur Kündigung.
13. Was gilt es in den nächsten Monaten zu beachten?
Die Umstellung auf die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen, insbesondere wird es zu Beginn noch zu Fehlern im Übermittlungsprozess kommen. Daher gilt es zunächst flexibel mit auftretenden Problemen umzugehen. Sollte der behandelnde Arzt noch keine elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen können, wird diese vorerst weiterhin in Papierform an die Krankenkasse und den Arbeitgeber übermittelt. In den Fällen, in denen der Upload der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an die Krankenkasse durch den Arzt fehlschlägt, wird die Bescheinigung postalisch an die Krankenkasse gesandt und von dieser hochgeladen. Der Arbeitgeber kann sodann die Bescheinigung in nun gewohnter Form herunterladen.