Seit Inkrafttreten der DSGVO im Mai 2018 ist es in der Rechtsprechung und im (zahn)ärztlichen Alltag umstritten, ob dem Wunsch des Patienten nach Einsicht in seine Behandlungsdokumentation kostenfrei oder gegen Erstattung der damit verbundenen Auslagen nachgekommen werden muss. Denn das BGB regelt in § 630g das Recht des Patienten auf Einsichtnahme in die vollständige, ihn betreffende Patientenakte. § 630g Abs. 2 Satz 2 BGB sieht jedoch vor, dass dem Behandelnden die dadurch entstandenen Kosten zu erstatten sind. Hiermit kollidiert Art. 15 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 5 Satz 1 DSGVO. Denn danach steht der betroffenen Person ein unentgeltlicher Anspruch auf eine Kopie seiner personenbezogenen Daten zu, die beim datenschutzrechtlichen Verantwortlichen – mithin dem (Zahn)Arzt – verarbeitet worden sind.
Beide Vorschriften regeln also ein Einsichtnahmerecht des Patienten in seine Behandlungsdokumentation, jedoch einmal gegen Entgelt und einmal kostenfrei. Dieses Spannungsfeld trifft häufig in der (zahn) ärztlichen Praxis auf das mit diesem Einsichtnahmerecht verbundene Spannungsverhältnis der möglichen Vorbereitung von patientenseitigen Haftungsansprüchen. Dies führt nicht selten dazu, dass der Einblick in die Patientenkartei und Übergabe der entsprechenden Unterlagen unter Verweis auf eine noch ausstehende Kostenerstattung verweigert und diese Vorfrage schließlich streitig wird. Nachdem ein solcher Streit dem BGH im Jahr 2022 vorgelegt wurde, hat dieser sich dafür entschieden, die Frage mit Beschluss vom 29.03.2022 dem EuGH zur Entscheidung vorzulegen. Dem ist der EuGH nunmehr mit Urteil vom 26.10.2023 (Az.: C-307/22) nachgekommen:
Danach ist die Überlassung der ersten Kopie einer Patientenakte an den Patienten stets kostenfrei.
Der EuGH stellt insoweit klar, dass die DSGVO und das darin verankerte Auskunftsrecht einen Zugriff auf die eigenen Daten durch den Patienten gerade erleichtern sollte. Hieraus folgt, dass zum einen der Auskunftsantrag nicht spezifisch begründet sein muss und zum anderen die erste Kopie der Daten unentgeltlich zu überlassen ist.
Zwar kann der nationale Gesetzgeber Einschränkungen vorsehen, um einen Missbrauch dieses Einsichtnahmerechts zu unterbinden und die wirtschaftlichen Interessen der Behandelnden zu schützen. Beide Aspekte greifen nach Einschätzungen des EuGH jedoch nicht bei der erstmaligen Anforderung der Patientenkartei. Diese muss kostenfrei sein, um die Rechte des betroffenen Patienten nicht zu beeinträchtigen.
Um zudem zu gewährleisten, dass die bereitgestellten Informationen leicht verständlich sind, muss dem Patienten laut EuGH eine originalgetreue Kopie der gesamten Kartei und aller darin enthaltenen Daten überlassen werden; also nicht nur Auszüge aus Dokumenten oder einzelne Elemente der Patientenkartei.
Zwar ist dem EuGH bewusst, dass eine solche Auskunft nicht nur vollständig und so genau wie möglich, sondern auch verständlich erfolgen muss und (Zahn)Ärzte diese häufig für den Patienten zur Vereinfachung des Verständnisses zusammenfassen möchten. Gleichzeitig führt der EuGH jedoch aus, dass bei der Zurverfügungstellung einer einfachen Zusammenfassung die Gefahr besteht, dass bestimmte relevante Daten ausgelassen oder unrichtig wiedergegeben werden oder dass jedenfalls die Überprüfung ihrer Richtigkeit und Vollständigkeit sowie ihr Verständnis durch den Patienten dadurch erschwert werden können.
Im Ergebnis sollten (Zahn)Ärzte daher dem ersten Anliegen eines Patienten auf Überlassung seiner Patientenkartei durch eine vollständige Zusammenstellung aller bei ihnen vorliegend Daten nachkommen und diese dem Patienten unentgeltlich zur Verfügung stellen.
Dies kann je nach Wunsch des Patienten elektronisch oder in Papierform geschehen. Der (Zahn)Arzt muss als datenschutzrechtlich verantwortliche Person jedoch sicherstellen, dass im Zuge der Auskunftserteilung nicht unberechtigte Dritte Kenntnis nehmen können. Die Übermittlung per unverschlüsselter Mail dürfte daher ausfallen. Mithin sind die Daten entweder zu verschlüsseln, ein passwortgeschützter Datenraum zu benutzen oder im Zweifel in Papierform postalisch zu übersenden.
Die Entscheidung des EuGH schafft damit nunmehr Rechtsklarheit, wenn auch in einer für (Zahn)Ärzte auf den ersten Blick wirtschaftlich nachteiligen Art und Weise. Auf den zweiten Blick dürfte aus der nunmehr bestehenden höchstgerichtlichen Klärung heraus aber auch eine sichere Handlungsvorgabe heraus erwachsen, die wiederum Konflikte vermeidet und Zeit erspart.