KWM BloG

Konkurrentenstreit unter Ärzten

Ein Beitrag von RA Dr. Großbölting und wissenschaftlichem Mitarbeiter Michael Klein

Das Sozialgericht (SG) Hamburg entschied mit Urteil v. 24.07.2024 (S 3 KA 170/20) zur Anfechtung der einem anderen erteilten Genehmigung (sog. Drittanfechtung). Eine Ärztin wehrte sich erfolgreich gegen die Erteilung einer Genehmigung nach § 121a SGB V an einen Konkurrenten.

I. Das Wichtigste in Kürze

Die Genehmigungsvoraussetzung der bedarfsgerechten Versorgung (§ 121a Abs. 2 Nr. 2 SGB V) erfordert eine behördliche Bedarfsprüfung.  Die zuständige Landesbehörde besitzt hierbei einen Beurteilungsspielraum, der einer gerichtlichen Kontrolle entzogen ist. Dieser Beurteilungsspielraum ist jedoch überschritten, wenn die behördliche Entscheidung auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage beruht oder untaugliche Differenzierungskriterien angewendet werden.

Ein Genehmigungsinhaber nach § 121a SGB V ist zur Anfechtung der einem Dritten erteilten Genehmigung befugt, wenn er mit diesem in einem Konkurrenzverhältnis steht und dem Konkurrenten durch die angegriffene Genehmigung ein gegenüber dem Anfechtenden nachrangiger Status eingeräumt wird.

II. Der Sachverhalt

Die Klägerin war Vertragsärztin und seit Januar 2015 Inhaberin einer Genehmigung zur Durchführung verschiedener Methoden der künstlichen Befruchtung (im Folgenden IVF-Leistungen). Die zuständige Landesbehörde erteilte einem anderen (im gerichtlichen Verfahren beigeladenen) Vertragsarzt mit Wirkung zum 01.04.2019 ebenfalls eine Genehmigung für die gleichen IVF-Leistungen wie von der die Klägerin angeboten. Die Klägerin begehrte mit ihrer gegen die Freie und Hansestadt Hamburg (als Trägerin der Landesbehörde) gerichteten Klage die Aufhebung dieser Genehmigung.

Sie argumentierte, die Beklagte habe keine hinreichende Bedarfsprüfung vorgenommen. Die herangezogenen Daten seien unvollständig, unzureichend ausgewertet worden und somit insgesamt nicht aussagekräftig.

Die Beklagte begründete die Genehmigungserteilung im Wesentlichen mit einem ansteigenden Behandlungsbedarf in der Region. Diesen leitete sie aus einem prognostizierten Bevölkerungsanstieg, steigenden Fallzahlen und den Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigung ab. Die Frage der Bedarfsdeckung sei auch nicht das entscheidende Kriterium für einen Behandlungsbedarf.  Zudem sei unter dem Aspekt der Angebotsvielfalt dem Wunsch der Patienten nach persönlicher Nähe und kontinuierlicher Behandlung in kleineren, inhabergeführten Praxen Rechnung zu tragen. Ferner sei bei der Genehmigung ein möglicher Patientenwunsch nach Behandlung durch eine Ärztin zu beachten und insofern für ein ausgewogenes Angebot zu sorgen.

Die Klage hatte Erfolg.

III. Rechtliche Fragestellungen

1. Möglichkeit der Drittanfechtung

Die Anfechtung der an einen Dritten gerichteten Genehmigung durch eine konkurrierende Berufsträgerin ist rechtlich nicht selbstverständlich. Denn es soll nicht jedermann befugt sein, gegen alle erdenklichen Genehmigungen klagen können. Vielmehr besteht eine solche Anfechtungsberechtigung nur, wenn die Klägerin die Verletzung einer eigenen Rechtsposition gerade durch die Genehmigungserteilung an den Dritten geltend machen kann. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 30.10.2013 – B 6 KA 5/13) – auf die sich das SG bezieht – bei der Genehmigung von IVF-Leistungen nach § 121a SGB V der Fall, wenn

  • die Genehmigungsinhaber in einem Konkurrenzverhältnis stehen,
  • dem Konkurrenten die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung eröffnet oder erweitert wird (Vermittlung eines vertragsarztrechtlich relevanten Status) und
  • der dem Konkurrenten eingeräumte Status gegenüber dem des Anfechtenden nachrangig ist.

Das erfordert zunächst ein gleiches Leistungsangebot im selben räumlichen Bereich (1). Der vertragsarztrechtliche Status (2) ist von der bloßen Abrechnungsberechtigung für eine bestimmte Leistung zu unterscheiden. Bei letzterer erfolgt die Genehmigung rein qualitäts- und qualifikationsbezogen. Bei der Statusgewährung ist hingegen der Bedarf für die zu genehmigende Leistung zu berücksichtigen. Die durch § 121a SGB V vermittelte Berechtigung ist geeignet, die Wettbewerbssituation eines bereits auf diesem Gebiet tätigen Arztes, welcher bei der Bedarfsprüfung zu berücksichtigen ist, zu beeinträchtigen. Zuletzt folgt der Nachrang (3) aus einer bereits bestehenden Genehmigung zugunsten eines Konkurrenten, der die Leistungen schon in ausreichendem Maße erbringt.

Diese Voraussetzungen waren im Verhältnis der Klägerin zum beigeladenen Vertragsarzt gegeben.

2. Beurteilungsfehler der Beklagten

Im Rahmen der Bedarfsprüfung nach § 121a Abs. 2 Nr. 2 SGB V steht der Behörde ein sog. Beurteilungsspielraum zu. Danach besitzt die Behörde einen Entscheidungsspielraum, der von einer gerichtlichen Überprüfung unberührt bleibt. Diesem Entscheidungsspielraum sind jedoch äußere Grenzen gesetzt, deren Einhaltung wiederrum gerichtlicher Kontrolle unterliegt. So sind die Gerichte befugt, die Behördenentscheidung auf die Einhaltung des Verfahrens, die zutreffende und vollständige Sachverhaltsermittlung durch die Behörde als Grundlage ihrer Beurteilungsentscheidung oder die Verkennung des rechtlichen Rahmens (sog. Beurteilungsfehler) zu kontrollieren.

Bei der Überprüfung dieser Grenzen des Beurteilungsspielraums stellte das Gericht mehrere Mängel fest.

a. Keine hinreichende Tatsachengrundlage

Die Bedarfsprüfung der Beklagten erachtete das Gericht mangels hinreichender Tatsachgrundlagen als ungenügend.

Zunächst vermochten die von der Beklagten herangezogenen Daten und deren Auswertung das Gericht nicht zu überzeugen. Aus diesen habe sich der behauptete stetige Anstieg der Fallzahlen schon nicht ergeben. Der damit verbleibende Verweis auf die steigende Bevölkerungszahl sei untauglich.

Vor allem aber habe es die Beklagte versäumt zu ermitteln, ob der Bedarf durch die vorhandenen IVF-Leistungserbringer mit einer Genehmigung nach § 121a SGB V in ausreichendem Maße gedeckt wird. Dies sei vor besonders vor dem gesetzgeberischen Willen zu sehen, einer Entwicklung vorzubeugen, die zur Absenkung der Indikationsschwelle für künstliche Befruchtungen führt. Eine etwaige Versorgungslücke oder eine fehlende Auslastung der klägerischen Praxis waren für das Gericht nicht ersichtlich.

b. Verkennung des rechtlichen Rahmens und sachfremde Erwägungen

Auch für die übrigen Erwägungen erkannte das Gericht keine gesetzliche Grundlage.

Zunächst sei die nach dem Kriterium der Angebotsvielfalt in diesem Fall nicht harnzuziehen. Nach § 121a Abs. 3 S. 2 SGB V ist dieses bei einer Auswahlentscheidung zwischen mehreren Bewerbern auf eine Genehmigung zu berücksichtigen. Die dem Urteil zugrundeliegende Anfechtungssituation betrifft jedoch den Fall, dass eine bereits erteilte Genehmigung bei der Bedarfsermittlung nach § 121a Abs. 2 Nr. 2 SGB V für eine weitere Genehmigung unzureichend berücksichtigt wurde. Es lag somit schon keine Auswahlentscheidung vor.

Weiterhin lasse sich das Differenzierungskriterium der inhabergeführten Praxis nicht aus dem Gesetz ableiten. Auch sage dieses nichts über die tatsächliche Praxisgröße aus. Persönlicher Umgang und Behandlerkontinuität seien von der Praxisorganisation abhängig und weniger von der konkreten Praxisgröße.

Auch stelle das Geschlecht eines Behandlers im Zulassungsrecht grundsätzlich kein relevantes Kriterium dar. Insbesondere sei es unter diesem Gesichtspunkt auch widersprüchlich gewesen, die Genehmigung einem Arzt zu erteilen.

IV. Bewertung

Die Entscheidung des SG Hamburg reiht sich in die Rechtsprechung des BSG ein. Genehmigungsinhaber (aber z.B. auch zugelassene Vertragsärzte im Rahmen von Sonderbedarfszulassungsverfahren) sollten sich der Anfechtungsmöglichkeiten zu ihrem eigenen wirtschaftlichen Schutz bewusst sein. Das Genehmigungserfordernis – hier nach § 121a SGB V (oder z.B. im Bereich der Nephrologie) – dient dem BSG nach auch diesem Interesse. Das Ziel der Beklagten, den Wettbewerb unabhängig von der Bedarfsdeckung durch ein vielfältiges Angebot zu vergrößern, ist durchaus geeignet, die wirtschaftliche Stabilität der Praxen und damit Versorgungssicherheit gefährden (vgl. BSG, Urteil vom 30.10.2013 – B 6 KA 5/13).  Zwar besteht bei der Bedarfsermittlung ein behördlicher Entscheidungsspielraum, doch zeigt die Entscheidung, dass dessen Ausübung angesichts der komplexen Tatsachenermittlung und -bewertung durchaus fehleranfällig ist. Das gilt gerade vor dem Hintergrund, dass sowohl das SG als auch das BSG die Intention des Gesetzgebers betonen, ein Absenken der Indikationsschwelle für Maßnahmen der Reproduktionsmedizin zu verhindern. Die Gerichte dürften damit auch weiterhin sehr genau prüfen, ob die Behörden die tatsächliche Versorgungslage hinreichend berücksichtigen.

KWM Autor
Dr. Ralf Großbölting
Partner
Fachanwalt für Medizinrecht
Justiziar des BAO
Blog
Ambulante Versorgung im Koalitionsvertrag: Große Schritte oder kleine Kompromisse? 
Blog
Existenzgründer: „Gut beraten in die Niederlassung“ – Seminar am 25.06.2025
Blog
Zur wirksamen Zustellung von Kündigungen
Blog
MVZ Gründungen
Blog
Konkurrentenstreit unter Ärzten
Blog
Ab 2025: Die Textform im Arbeitsrecht – Was Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber beachten sollten

Kontaktieren Sie uns